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  • AutorenbildTina Hauswald

Lockdown im Kopf

Ein Artikel über die psychische Gesundheit von jungen Menschen in der Pandemie

Einsamkeit, Lustlosigkeit und Frustration - die Erinnerungen der Yummy Politics Community an Corona, das vergangene Jahr und den Lockdown klingen nicht rosig. Eigentlich wenig verwunderlich: von jetzt auf gleich kaum soziale Kontakte mehr, eingesperrt im eigenen Zimmer und schließlich im eigenen Kopf. Auf Instagram habe ich eine Umfrage* gestartet und die Yummy-Followers gefragt, ob sie die Pandemie psychisch belastet hat – 76% antworteten mit „ja“.

Ein Grund zu reflektieren, zurückzuschauen und sich zu fragen: Wie stark hat die Pandemie uns junge Menschen wirklich getroffen? Welche Folgen hat sie für uns und unsere Gesundheit? Und wie können wir von jetzt an damit umgehen? Auf der Suche nach den Antworten habe ich verschiedene Menschen getroffen, Expert*innen sowie Betroffene befragt und mich durch Daten gewühlt – Folgendes habe ich herausgefunden:


1. WIE SCHLIMM DIE LAGE WIRKLICH IST 2. WARUM WIR ÜBERHAUPT PROBLEME HABEN 3. WIE SICH SCHULE UND STUDIUM WÄHREND CORONA ANFÜHLEN

 

* Es handelt sich um eine nichtrepräsentative Umfrage, die lediglich als Einschätzung der Wichtigkeit des Themas dienen soll. Insgesamt nahmen 51 Menschen teil, davon 25 Frauen und 26 Männer zwischen 14 und 30 Jahren.

 
WIE SCHLIMM DIE LAGE WIRKLICH IST

Herauszufinden wie es um uns steht, war gar nicht so einfach – wir befinden uns schließlich noch mitten in der Pandemie und die ersten Daten können erst jetzt ausgewertet werden. Auf viele meiner Anfragen bekam ich daher wohlwollende Antworten, die mir aber nur eine Tendenz bestätigen konnten:

„Wir wissen aus zahlreichen Berichten unserer Mitglieder, dass sich in der Tat die Corona-Pandemie auch auf die (psychische) Gesundheit der Kinder und Jugendlichen auswirkt. Doch leider haben wir (noch) keine genauen Zahlen dafür (…) “,

schrieb mir zum Beispiel die Kassenärztliche Vereinigung BW. Doch als ich Daten ausfindig machen konnte, sprachen sie Bände:

„Die Patientenanfragen“ bei Psychotherapeuten „sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa 40 % gestiegen“, fand die Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) heraus. Noch schlimmer sieht es bei Kindern und Jugendlichen aus: Hier „ist die Zahl der Anfragen im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie um 60 % gestiegen“.

Dietrich Wagner, Leiter des Lore Perls Hauses in Pforzheim und Familientherapeut, bestätigt mir, dass diese Daten im Alltag eines Psychologen längst angekommen seien:

„Das ist eine sehr anstrengende Zeit, unsere Patienten sind wesentlich belasteter gewesen.“

Normalerweise hätten sie in der ambulanten Betreuung eine*n Patient*in mit besonders schwerer psychischer Erkrankung „und dann hatten wir auf einmal fünf“. Vor allem „die [Patient*innen], die Schwierigkeiten mit der Isolierung und keinen Kontakten haben“ nähmen zu. Und diese Entwicklung „fängt jetzt erst an – die längeren Folgen dieser Pandemie werden erst nach der Pandemie kommen“. Aber warum? Das liege daran, dass viele jetzt noch versuchten durchzuhalten und die gesellschaftliche Toleranz durch die Ausnahmesituation höher sei. Wagners Einschätzung über die bevorstehende Zeit hallt noch immer durch meinen Kopf:

„Aber dann, wenn das Hamsterrad der Gesellschaft wieder mehr durchläuft, dann werden manche Schwierigkeiten haben“.

Der baden-württembergische Sozialminister äußert sich ähnlich besorgt: „Es steht zu befürchten, dass wir heute erst die Spitze des Eisbergs sehen“, so Manne Lucha in einer Pressemitteilung der DPA.

Wie hoch der Eisberg sein könnte, lassen die Ergebnisse der COSPY-Studie (Corona Psyche) vermuten. Hast du dich in der ersten Welle psychisch belastet gefühlt? Wenn ja, dann gehörst du eindeutig zur Mehrheit – 71 % der Kinder und Jugendlichen trafen in der Studie dieselbe Aussage. Eine Selbsteinschätzung, die sich durch psychische Auffälligkeiten bestätigt, circa doppelt so viele Kinder und Jugendliche äußerten diese im Vergleich zu Pre-Corona-Zeiten, laut Verfassern der Studie,

„damit wurden während der Pandemie für fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten (…) berichtet, während vor der Pandemie etwa jedes fünfte Kind betroffen war“.

Manne Lucha fasst auf einem digitalen Fachgipfel zur psychischen Situation von Kindern und Jugendlichen in Folge der Corona-Pandemie zusammen:

„Kinder und Jugendliche leiden besonders unter der Krise.“

Aber wieso? Was löst diese Probleme aus? Und warum besonders bei jungen Menschen?

 
HINWEIS:

Falls dich dieses Thema interessiert, empfehle ich diese Podcast-Folge, in der ich mir die Problematik zusammen mit dem Psychologen Dietrich Wagner genauer angeschaut habe (Release date: 13. September).

 
WARUM WIR PROBLEME HABEN

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, habe ich Dietrich Wagner nach seiner fachlichen Einschätzung gefragt. Ganz allgemein, erklärt er mir, liege das an unserem Hang zur Routine – dieser werde bei Krisen hinterfragt und falle weg:



Bei der Corona-Pandemie sei zusätzlich die gesundheitliche Bedrohung entscheidend:



Zu dieser Grundlast addiere sich, dass wir vermehrt auf digitale Begegnungen setzen; diese könnten soziale Kontakte jedoch nicht ersetzen:




Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer im Südwest-Landkreistags, nennt in einer Pressemitteilung der DPA noch einen weiteren Faktor, der den Blick besonders auf junge Menschen lenkt:

„Die Belastungen und die Konfliktlagen in den Familien haben sich durch geschlossene Kitas und Schulen und durch Homeschooling erkennbar verschärft.“

Zahlen des Statistischen Landesamtes BW offenbaren, dass diese angespannte Situation zuhause zu mehr Gewalttaten an Kindern führt: In Baden-Württemberg erfassten die Jugendämter 2020 fast 16% mehr Fälle von Kindeswohlmisshandlung als noch 2019. Selbst wenn es nicht zum Äußersten kommt, so gilt der veränderte Schulalltag für alle. Wie kommen Jugendliche damit klar? Wie sehr beeinflusst diese Umstellung unser Wohlbefinden? Wo liegen Probleme und Chancen?


WIE SICH SCHULE UND STUDIUM WÄHREND CORONA ANFÜHLEN

Ich selbst bin Studentin und was uns allen meiner Meinung nach am meisten fehlt, ist schlichtweg das typische Studentenleben: neue Leute kennenlernen, was erleben und neue Umgebungen. Einige Student*innen haben ihre Uni jedoch nie von innen gesehen, zumindest nicht länger als eine Prüfung lang. Und wozu wegziehen, wenn man kaum vor die Tür sollte?

„Das sind so wichtige Jahre in der Entwicklung von einem Menschen, die man sich einfach so anders vorgestellt hat“,

so eine Followerin von Yummy Politics auf Instagram, die Vorstellung, die Wünsche, die Hoffnungen, die man als Studierende hat, seien nicht erfüllt worden. Übrig bleibe dann nur der Stress:

„Ich hatte das Gefühl, von der Uni kommen nur noch neue Aufgaben und Deadlines“,

berichtet ein anderer Student aus der Yummy-Community.

Aber nicht nur die Studierenden sind unzufrieden, auch einige Schüler*innen nehmen die Isolation nicht auf die leichte Schulter:


(Quelle: Günther, P. S., et al. (2020). COVID-19 – aktuelle Herausforderungen in Schule und Bildung: http://hdl.handle.net/20.500.12010/13473.)


Die Statistik bezeugt, dass von allen Beteiligten im Schulsystem Schulkinder am meisten unter der Pandemie leiden. Wie erleben Schüler*innen das konkret im Schulalltag, im Unterricht und im Homeschooling? Lisa* hat es mir verraten. In einem Mini-Interview berichtete sie mir von ihren Erlebnissen als Oberstufenschülerin eines Gymnasiums.

 

* Der Name wurde aus Gründen der Anonymität geändert.

 
„Die Chancen des Homeschoolings, wie z.B. selbstreguliertes Lernen, hängen allerdings stark von der Leistungsstärke der Schülerinnen und Schüler vor der Schulschließung ab“,

stellt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in ihrer Studie fest.

Das bestätigt mir auch Gymnasiallehrerin Tina: „In meinem Kurs zeigt sich ein geteiltes Bild, Schülerinnen und Schüler, die mit Online-Unterricht klarkommen, selbst motiviert sind und eigenständig arbeiten können, haben auch 15 Punkte geschafft, andere sind völlig abgetaucht und wiederholen jetzt“. Dabei stelle das Format aber auch eine Chance für stillere Jugendliche dar:

„In den (…) Sitzungen habe ich von Schülern Antworten bekommen, die sich im Unterricht nie gemeldet haben.“

Doch dass Homeschooling für die Lernenden belastender sei, daran gibt es für Tina keine Zweifel: „Allein daheim statt in der Schule Freunde treffen? Ist doch als Jugendlicher kacke. Es gibt auch einige, die das umgehauen hat“. „In den letzten normaleren Wochen“ habe sie versucht, dafür etwas Ausgleich zu schaffen, „es waren sowieso alle ein bisschen durch den Wind, da war es mir nicht so wichtig, noch mehr [Unterrichtsstoff] in die Schülerinnen- und Schüler-Hirne zu bekommen.“ Doch auch für Lehrkräfte sei die Pandemie „extrem belastend“ gewesen, betont Tina,

„dass die Schulen aufbleiben sollten, egal was für Inzidenzen, war für mich ein Schlag ins Gesicht: Angst um die eigene Gesundheit, vor Ansteckung mit täglich teilweise 120 verschieden Schülerinnen und Schülern in engen Räumen, frieren wegen Lüften…es war beängstigend“,

und weiter, der „Online-Unterricht war auch extrem anstrengend, wenn man (wie ich) alles in Onlinekonferenzen abgehalten hat“.



Es zeichnet sich ein klares Bild ab: Die Pandemie war ein Kraftakt für alle: Für Lehrende, für Psycholog*innen und für uns Jugendliche. Doch die schlechte Nachricht lautet eigentlich: Für viele wird sie das auch noch einige Zeit bleiben. Denn meine Recherchen haben gezeigt: Egal ob zuhause, in der Schule oder in der Uni – die Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen, die nicht so einfach wieder verschwinden, denn Lockdown bedeutete für viele junge Menschen leider auch Lockdown im Kopf. Wir brauchen dringend eine Aufarbeitung für Lernrückstände, für verpasste Lebenszeit, aber auch für unsere (psychische) Gesundheit. Es liegt jetzt an der Politik, die Weichen zu stellen. Aber auch wir können etwas tun: Lasst uns darüber mehr sprechen, lasst uns Rücksicht nehmen und ein waches Auge sowie ein offenes Ohr für unsere Mitmenschen haben.

Danke an alle, die an diesem Artikel mit ihrer Expertise, Erfahrung und Offenheit mitgewirkt haben!

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