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  • AutorenbildTina Hauswald

AfD-Richter sorgt für Trubel in BW

Ein Hintergrundbericht über die Wahl von B. M. Gärtner in den Verfassungsgerichtshof


Symbolbild | Quelle: Wix

Schlagzeilen wie „Rechter wird Richter“ (TAZ) oder „Stuttgarter Landtag hätte Nein zum AfD-Kandidaten sagen können“ (Süddeutsche Zeitung) kursierten kürzlich durch die Presse in BW. Grund ist eine Wahl, die teilweise als Kuschelkurs mit der AfD* interpretiert wird. Die SPD* hält CDU* sowie Grüne* für schuldig und teilt lautstark aus: „Wenn schwarz [CDU] & grün [Grüne] nicht gegen braun [hier: die AfD] stimmen, sind wir rot vor Wut“. Der SWR berichtet von der hagelnden Kritik und dass die Grüne Jugend „Sturm gegen eigene Fraktion“ läuft. Bei all dem Trubel wird es Zeit für einen aufklärenden Artikel von Yummy Politics:

Was ist überhaupt passiert? Wie kam es erst dazu? Und vor allem: Warum regen sich eigentlich alle auf?

 

* Zur Vereinfachung werden im Folgenden Parteinamen anstelle von Fraktionen des Baden-Württembergischen Landtags genannt: die AfD-Fraktion BW bezeichne ich z.B. nachfolgend als AfD.

 


Was ist überhaupt passiert?


Kurz und knackig: Für den Verfassungsgerichtshof standen Neubesetzungen bei den Richter*innen an. Die AfD hat hierfür Bert Matthias Gärtner nominiert und der wurde beim zweiten Wahlgang mehrheitlich vom Landtag gewählt – wie man den einleitenden Zitaten entnehmen kann, finden das nicht alle so cool.

 

Kurze Info zum Verfassungsgerichtshof:

Die Aufgaben dieses Verfassungsgerichts und damit der Richter*innen erklärt das Land Baden-Württemberg auf seiner Website: „[Der Verfassungsgerichtshof] entscheidet über die Auslegung der Landesverfassung und stellt mit seinen Entscheidungen sicher, dass die anderen Staatsorgane die Landesverfassung beachten“. Das bedeutet, dass er darüber entscheidet, was verfassungswidrig ist und was nicht.

 

Aber warum durfte die AfD überhaupt einen Kandidaten stellen?



Wie kam es erst dazu?


Na, weil sie eben wie alle anderen das Recht dazu habe – stehe ja in der Landesgeschäftsordnung, so die Grünen in ihrem offiziellen Statement. Okay, also schauen wir uns kurz die Geschäftsordnung an:


Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt oder unter den Fraktionen vereinbart ist, werden bei der Besetzung (…) außerparlamentarischer Gremien die Fraktionen nach ihrer Mitgliederzahl beteiligt." - Paragraf 17a der Landesgeschäftsordnung

Ist es so simpel? Das ist fast zu schön, um wahr zu sein, oder? Es liegt daher auf der Hand, dass es einen Haken geben wird. Die Frage ist nur welcher? Und hier kommt Volker Haug, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg, mit seinem Statement in der SZ ins Spiel:

„Von Verfassungs wegen und von Gesetzes wegen gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, so vorzugehen.“ - Volker Haug

Wie? Ist man sich nicht sicher, ob das hier gilt? Er erklärt in dem Zeitungsartikel weiter, dass der Verfassungsgerichtshof ein eigenes Verfassungsorgan ist und für ihn deshalb nicht unter die im Paragrafen angesprochene Kategorie außerparlamentarisches Gremium falle. Juristisch ist nicht glasklar, wie sehr der Paragraf bindet, got it.


Aber die Alltagspraxis ist eine andere: Der Pressesprecher der AfD berichtet mir, dass sie „selbstverständlich“ mit dem Wahlergebnis gerechnet hätten, denn „die Wahl Gärtners entspricht den parlamentarischen Gepflogenheiten in einer Demokratie", so AfD-Fraktionsvorsitzender Gögel (Quelle). Auch die SPD erklärt:

„Wir stellen § 17 a der Geschäftsordnung des Landtags nicht in Frage“.

Aber sie betont, dass das Gesetz nur eine Wahl vorschreibe und nicht die Zustimmung der Nominierten. Was soll das heißen? Sie finden das Vorschlagsrecht gut, gegen die AfD-Kandidaten stimmen sie trotzdem. Auch die Grünen bekennen sich zu der Geschäftsordnung, „wenn auch in diesem Fall zähneknirschend“. Vielleicht tun sie das auch, weil sie die scharfe Kritik der AfD kennen: „Das formale Ausgrenzen einer weder verbotenen noch beobachteten Programmpartei ist undemokratisch, ja im Kern totalitär.“

Wir haben gelernt, dass im Landtag niemand daran zweifelt, dass Gärtner das Anrecht auf die Wahl hatte. Das erklärt aber nicht, wieso sich das zu so einem Skandal verwandelte, im Gegenteil, wenn niemand an Gärtners Anspruch zweifelt, warum dann das Drama?



Warum regen sich eigentlich alle auf?


Woran liegt es also, dass die Reaktionen über die Zustimmung so eskalierten? Ich habe mir, Politiker*innen und den Fraktionen verschiedene Fragen gestellt, um den Grund herauszufinden.


Ist das Amt Gärtners besonders wichtig?

Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen BW, betont in einem Statement, dass es sich um das Amt eines stellvertretenden Laienrichters handelt und „(d)iese haben weniger Kompetenzen als die Berufsrichterinnen und Berufsrichter“.

Was bedeutet das? Sarah Heim, Sprecherin der Grünen Jugend Baden-Württemberg (GJBW), erklärt mir: „In diesem Fall hat die Wahl wahrscheinlich kaum konkrete Bedeutung, da die Wahl zum stellvertretenden Laienrichter im Verfassungsgerichtshof höchstwahrscheinlich nie dazu befähigen wird, die Ausrichtung der baden-württembergischen Verfassung tatsächlich zu beeinflussen.“

Also ein Amt, das wenig ausrichten kann; bislang kein Anlass für einen solchen Skandal.


Ist der Kandidat – in seiner Radikalität – dann besonders bedenkenswert?

Nein, das Gegenteil sei sogar unter anderem der Grund gewesen, um Gärtner überhaupt zu nominieren, so die AfD. Das bestätigt mir auch der Grüne Pressesprecher: „über die AfD-Tätigkeit hinaus“ seien „keine rechtsextremen Merkmale bekannt“.

Sarah Heim äußert mir gegenüber jedoch Zweifel: Seine Arbeit bei der „queerfeindliche(n) Björn Höcke Unterstützerin“ Carola Wolle (MdL) sei für sie mindestens so besorgniserregend wie seine Parteizugehörigkeit, „egal wie ‚moderat‘ sich (…) Vertreter*innen [der AfD] darstellen“.


Auch mit all dem Zweifel böte das wenig Brennstoff für ein politisches Lauffeuer. Wäre da nicht der Fakt, dass es der Kandidat mit den alleinigen Stimmen der AfD gar nicht ins Amt geschafft hätte.

Sascha Binder (SPD) erläutert seinen Followern auf Twitter wütend das Ergebnis:


Die beste Wahl?

Dieser Ausgang überrascht vor allem durch die zusätzlichen „Ja“-Stimmen. Diese stehen nämlich im Konflikt mit der Unvereinbarkeit, die alle anderen Parteien in Bezug auf die AfD beschlossen. Umso spannender sind die Fragen: Wer war’s? Wer sind die rulebreaker? Wer ist verantwortlich? Naja, so richtig weiß das niemand – Stichwort geheime Wahl. Wer außer der AfD mit „Ja“ gestimmt hat, bleibt wohl wie die Wahl geheim. Aber, es gibt da eine Tendenz, denn die Fraktionen haben eigene Aussagen darüber getroffen: So habe die SPD geschlossen gegen den Kandidaten gestimmt, die Grünen nur mit Nein oder Enthaltung, die FDP habe eine Empfehlung ausgesprochen, gegen den Kandidaten zu stimmen, sie schließt aber wie die CDU „Ja“-Stimmen nicht kategorisch aus, da die Wahl schließlich geheim war. Wenn man diesen Aussagen glaubt, dann kommen die übrigen Stimmen aus den Reihen von CDU & FDP. Okay, aber warum bekommen dann auch die Grünen auf den Deckel? Dahinter steckt die folgende Frage: Sind die Enthaltungen genauso stark für die einfache Mehrheit verantwortlich? Denn schließlich zähle am Ende nur, ob es mehr Ja- oder Nein-Stimmen gibt. Für die Grüne Jugend Baden-Württemberg müsse das eine klare Linie sein: „Keine Enthaltung bei Faschisten!“, so die Sprecherinnen Sarah Heim und Aya Krkoutli (Quelle). „Und das hätten alle demokratischen Parteien im Landtag erkennen sollen und sich entsprechend absprechen müssen“, kritisiert Sarah weiter – damit meint sie auch die „Mutterpartei“ der GJBW, die Grünen. Und so war es geschehen: Nun steckt hinter der Wahl ein politischer Streit, ein symbolischer Wert, ein Demokratieverständnis.


Don’t get me wrong, beim Grundverständnis zum Umgang mit der AfD sind sich alle anderen Parteien des Landtags einig, zeigen auch ihre Antworten auf meine Presseanfragen:


„Für uns Grüne im Landtag gilt: Klarer Kurs gegen rechts! (…)“ „Unsere Haltung als SPD galt damals, so wie sie heute gilt: kein Fußbreit (…).“ „Wir als CDU-Fraktion sind in unserer Haltung klar. Für uns gibt es weder ein Zusammenwirken noch eine Zusammenarbeit mit der AfD (…).“


Doch in diesem konkreten Fall scheiden sich die Geister: Die einen (SPD) sehen das Problem, wenn AfDler im Verfassungsgerichtshof sitzen, da die AfD ihrer Meinung nach „keine Gelegenheit ausgelassen hat, um im Landtag von BW gegen unsere Verfassung und Gerichte zu hetzen“. Die anderen (Grünen) fürchten eine „Nominierungs-Dauerschleife“ bei immer neuer Ablehnung von AfD-Kandidat*innen „in jeder Sitzung“, „und diese hätte jedes Mal aufs Neue der AfD-Fraktion eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden“. Hätte die AfD das gemacht? Hätten sie nach Gärtner noch neue Kandidat*innen gestellt? Ihr Pressesprecher beantwortet mir die Frage so: „Das wäre von ihm [Gärtner] abhängig gewesen, wie oft er da ins Wasser hätte springen wollen“.



Und was jetzt?


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Solche Meinungsverschiedenheiten im Umgang mit der AfD sind nicht neu, auch in Thüringen gab es bereits einen heftigen Streit über die Vorgehensweisen. Sarah Heim von der GJBW fasst zusammen, was ihrer Meinung nach jetzt auf der To-Do-Liste der anderen Parteien steht: „Wir müssen Strategien zum Umgang mit der AfD in den Parlamenten finden“. „(L)angfristige präventive Maßnahmen gegen rechts“, zählen für Sarah auch dazu, „z.B. durch die verstärkte Demokratiebildung an und Demokratisierung von Schulen“. Ob ihnen das gelingt, wird sich spätestens beim nächsten Trubel zeigen.


Während sich die anderen Fraktionen Strategien überlegen, versteht die AfD die extremen Reaktionen auf die Wahl nicht – sie seien „scheinheilig, arrogant, ja undemokratisch, das ist die eigentliche Schande“. Weiter kritisiert sie diese als verallgemeinernde Übertreibungen:

„Die AfD hat über 30.000 Mitglieder, hier werden dagegen [im Vergleich zu anderen Parteien] die Ausnahmen zur Regel hochgedeutet. Unerträglich!“


Diese Stellungnahmen, dieser Artikel, dieser Fall zeigen auf, wie sich Politik auch in Deutschland sehr konträr weiterentwickelt. All das verdeutlicht, wie gespalten wir als Gesellschaft schon heute sind, denn unser Kreuz in der Wahlkabine entscheidet all das: „(Z)ur Wahrheit gehört auch: Die AfD sitzt im baden-württembergischen Landtag in Ausschüssen, hat Ausschussvorsitze, sitzt im Präsidium usw. Das steht ihr rechtlich zu. Das Bundesverfassungsgericht hat das vielfach erklärt. Das ist Ausfluss des Wahlergebnisses“, so Uli Sckerl (Grüne). Daraus können wir lernen: Egal in welche Richtung du Politik beeinflussen willst, am besten tust du es durch deine Wahl. In diesem Sinne: Geh wählen – am 26. September ist Bundestagswahl.


 

Allgemeine Hinweise

  1. Der FDP-DVP-Fraktion stellte ich (wie allen anderen Fraktionen des Baden-Württembergischen Landtags) im Rahmen meiner Recherche Fragen. Auf diese habe ich – Stand heute – keine Antworten erhalten. Ich konnte deren Ansichten daher für diesen Artikel nicht berücksichtigen.

  2. Ebenfalls konnte ich Bert Matthias Gärtners Sicht auf seine Wahl leider nicht in den Artikel miteinbeziehen, da er laut Pressestelle der AfD-Fraktion Baden-Württemberg aktuell Journalist*innen aus familiären Gründen nicht zur Verfügung stehe.

  3. Die Häufigkeit der verwendeten Statements von Parteien bezieht sich nicht auf deren Richtigkeit oder meine Sympathie, sondern lediglich auf die Ausführlichkeit der Antworten mir gegenüber.

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